Das schwarze Gefängnis
Gegenwart: Ines
Ungeduldig wartet Kerstin auf das erscheinen ihrer Freunde. Es ist schon spät geworden, und normalerweise müssten sie schon längst da sein.
Ines und Andrea wohnen ebenfalls hier im Haus. Obwohl sie jeden Tag sehr spät nach Hause kommen, sind sie eine große Hilfe für Kerstin. Ohne die beiden Frauen, die fast täglich die Verpflegungsvorräte auffüllen, für die einwandfreie Funktion der technischen Accessoires an Kerstin und der übrigen Wohnung sorgen, und bei der Pflege ihrer zweiten Haut mithelfen, wäre Kerstin ziemlich Hilflos. Schon seit Monaten spielt sich Kerstins Leben in ihren vier Wänden, und dem großen, von Bäumen und Sträuchern umrahmten Garten, der einen kleinen See beherbergt, ab. Sie war für jede Abwechslung, die ihr die Freunde brachten sehr dankbar, auch wenn sie oft sehr Bizarr und keineswegs unter dem Begriff "erholsam" einzustufen waren, brachten sie bis jetzt immer Leben in den Alltag.
Endlich vernahm Kerstin das vertraute Geräusch, wenn jemand den Schlüssel ins Schloß steckt, um ihn gleich darauf herumzudrehen und die Tür zu öffnen.
Ines betritt den langen Flur und meldet sich mit einem fröhlichen "Hallo" . Sie schließt die Tür und setzt ihren weg durch den Flur fort. An der Garderobe hängt sie ihre Handtasche und den langen, weit geschnittenen Latexmantel an einen Haken. Da nur im Wohnzimmer Licht brennt, begibt sich Ines ebenfalls dorthin, um nach ihrer schwarz glänzenden Freundin zu sehen. Sie streckt ihren blonden Wuschelkopf durch die Tür und lässt den Blick zu Kerstin wandern. "Alles OK ? "
Kerstin dreht den Kopf und blickt in das fröhlich lächelnde Gesicht von Ines. Mit einem kaum wahrnehmbaren nicken signalisiert sie ihrer Freundin, daß alles in Ordnung ist.
"Ich zieh mich noch kurz um, und hol mir was zu Trinken " meldet sich Ines Stimme aus dem Flur "Ach ja, Andrea kommt heut später nach Hause" . Sie war schon unterwegs zu ihrem Zimmer. Ines entledigt sich ihrer normalen Straßenkleidung, die aus einer dunkelblauen Stoffhose und einer weißen, hochgeschlossenen und langärmeligen Bluse besteht. Als sie beide Teile sorgfältig über die Lehne eines Stuhles gelegt hatte, beginnt sie Ihr Latexhöschen abzustreifen, in dem ein Dorn zu sehen ist, der nun aus dem Schritt von Ines zurückwich. Sie beginnt sich im Bad frisch zu machen. Wieder in ihrem Zimmer, sucht sie sich aus zahlreichen Schränken und Schubladen ihr Outfit für den fortgeschrittenen Abend und die bevorstehende Nacht. Sie legt sich ein paar oberschenkellange Gummistrümpfe und oberarmlange Latexhandschuhe zurecht und öffnet den Reißverschluß eines Bodys mit angearbeiteter, gesichtsfreien Maske. Aus einer der Schubladen nimmt sie eine faustgroße Metallkugel. Als sie sich die Kugel ans Ohr hebt, und kräftig schüttelt, konnte man das rasseln der wild umherspringenden Kügelchen im Innern der hohlen Kugel deutlich hören. Zufrieden führt Ines die Kugel in ihre Grotte ein. Mit einem leisen, schmatzenden Geräusch verschwindet sie zwischen den beiden Wülsten in ihrem Schritt. Lediglich eine kurze Schnur war noch zu sehen, an der Ines später die Kugel wieder ans Tageslicht befördern kann. Mit ein paar Hopsern prüft sie den Effekt, den die kleinen Kügelchen ausüben, wenn sie auf die Innenwand der Kugel treffen. Ihr lustvoller Seufzer bestätigt die Arbeit der kleinen Gesellen, die bei jeder Bewegung aneinander stoßen und in der Kugel umher rollen.
Verzückt lässt sie die Beine in die dafür vorgesehenen Öffnungen am Body gleiten. Danach streckt Ines die Arme durch den Body, und streift die Maske über den Kopf. Sie positioniert noch kurz ihre Brüste in den dafür vorgesehenen transparenten Mulden am Body, und beginnt dann, den Reißverschluß vom Nabel her, durch den Schritt nach hinten, bis hoch zur Maske zu schließen. Die Strümpfe bereiten Ines große Probleme. Obwohl das Material sehr dünn und enorm dehnfähig ist, hat sie große Schwierigkeiten, die viel zu kleinen Latexdessous über die dafür viel zu großen Füße zu streifen. Auch die Handschuhe wirken zierlich im Vergleich mit ihren Armen, die nach einigen Minuten beharrlicher Arbeit, mit dem schwarzglänzenden Überzug versehen sind. Sie betrachtet sich im Spiegel. Ines dreht sich einmal nach rechts und links, und verläßt dann zufrieden den Raum, um in der Küche nach dem rechten zu sehen. Dort angekommen klappt Ines den Deckel der Kaffeemaschine auf, um einen Papierfilter einzulegen, öffnet dann eine Dose, welcher sofort der typische, anregende Duft von gemahlenen Kaffeebohnen entströmt, und sich im Raum verteilt. Mit einem Teelöffel gibt sie ein paar Gramm des braunen Pulvers in den Filter und macht die Maschine betriebsbereit, indem sie den Deckel schließt, und den Schalter betätigt. Während das Wasser gurgelnd durch die Maschine läuft, lässt Ines Wasser ins Spülbecken laufen, worin die transparenten Verbindungsschläuche und Beutel liegen, die Kerstin im lauf des Tages für ihre Mahlzeiten verwendet hat.
Als Kerstin das geschäftige Treiben hört, erhebt sie sich von der Couch. Sie geht zur Küche. Traurig blickt sie auf die Kaffeemaschine, wo sich gerade der letzte Spritzer heißes Wasser in den Filter ergießt. Was hätte sie darum gegeben, den köstlichen Geschmack auf ihrer Zunge zu spüren, oder den aromatischen Dampf einzuatmen, der einer frisch aufgefüllten Tasse Kaffee entsteigt. Einatmen kann sie ihn, aber die Atemröhrchen führen den duftenden Dampf an den Sinneszellen in ihrer Nase vorbei, ohne sie zu berühren. Schon seit Anfang der Zeit, als sie in ihre zweite Haut eingebettet worden war, kann Kerstin an den ihr zugeführten Getränken und Mahlzeiten nur noch am Gefühl im Bauch erkennen, ob es viel, wenig, warm oder kalt war, was den Verdauungstrakt erreicht. Statt dessen benetzt ein anderer Geschmack ihre Sinne, ein Geschmack, der eigentlich überhaupt nichts mit essen und trinken zu tun hat. Rund um die Uhr, ohne eine einzige Unterbrechung fühlt, schmeckt und riecht Kerstin nur noch den Gummi des Knebels im Mund und den Atemröhrchen in ihrer Nase. Mittlerweile hat Kerstin sich an diesen Verlust gewöhnt, den ihr neues Outfit mit sich bringt. Am Anfang aber war es schwer, darauf verzichten zu müssen, da es eine der Besonderheiten ist, mit der ein Mensch, neben fühlen und sehen, seine Umwelt wahrnimmt. Auf der anderen Seite sind es genau diese Kleinigkeiten, die das Erleben dieser bizarren Kostümierung besonders intensiv gestalten.
Kerstin beobachtet Ines beim Spülen der Gegenstände. Als Ines die schwarze Gestalt in der Tür bemerkt, hebt sie den Kopf und lächelt. "Du siehst toll aus", sagt sie, "Und du hast nichts von deiner Schönheit eingebüßt, seit du ganz in Gummi eingeschlossen bist". Verschämt blickt sie wieder in die Spüle. Kerstin war schon seit längerer Zeit aufgefallen, daß Ines am liebsten selbst an ihrer Stelle in dem schwarzen Gefängnis verweilen möchte, obwohl sie wissen mußte, daß es manchmal nicht leicht war, in den Gedankengängen der Freunde, eine angenehme Seite zu entdecken. Kerstin kommt näher an Ines heran und versucht, die Komplimente von ihr zu erwidern. Sie streicht mit ihren Händen über den Rücken von Ines, entlang dem Reißverschluß am Body. Das quietschende Geräusch das durch die Berührung von Gummi auf Gummi entstand, erzeugt Vibrationen, die Ines mit einem Hohlkreuz erwidert. "Warte noch bis ich fertig bin", haucht Ines Kerstin entgegen, " dann haben wir Zeit. Möchtest du einen Kaffee? Er ist gerade fertig." Kerstin nickte. Sie sieht zu wie Ines eine leere Flasche aus dem Schrank nimmt, und einen Teil des Kaffees einfüllt. Sie verschließt die Flasche mit einem Deckel, an dem der Verbindungsschlauch noch lose herunter hing, und ein Blasebalg angebracht ist, mit dem man Luft ins innere der Flasche befördern kann. Ines führt das andere Ende des Schlauches an die Metallplatte am Mund von Kerstin, und dreht an ihm, bis ein leises Klicken zu hören war. Sie Reicht Kerstin die Flasche, nimmt den Balg in die Hand, den sie dann mehrmals zusammendrückt.
Kerstin fühlt die Wärme, die sich in ihrer Bauchgegend ausbreitet. Besonders deshalb, weil all ihre täglichen Mahlzeiten aus dem Kühlschrank stammen, und genauso kühl in ihrem Magen landen, war dieses Gefühl so intensiv. Ines hätte Kerstin auch warmes Wasser oder Bier einflößen können, sie hätte den Unterschied wohl nicht bemerkt. Allein diese Wärme war etwas besonderes für sie. Kerstin muß sich jedes mal wundern, wenn sie bemerkt, daß ihr banale Dinge wie die Wärme in ihrem Bauch, plötzlich so viel bedeuten, seit sie auf viele normale Handlungen und Eindrücke nicht mehr zurückgreifen kann. Sprechen, schmecken, riechen, kauen, schlucken, laufen, auf die Toilette gehen oder sich selbst einen Höhepunkt zu verschaffen, all diese menschlichen Eigenschaften waren Vergangenheit, wurden stark eingeschränkt oder auf eine andere Art wiedergegeben. Kerstin fühlt mit jedem neuen Tag, wie sich ihr Bewußtsein und ihre Gedanken verändern. Sie ist dabei, eine Sklavin zu werden. Eine Sklavin, die ihrem Meister gehorcht, demütig erduldet was er von ihr fordert. Sie fühlt, wie sie alle eigenen Bedürfnisse zurückstellt, um seinem Willen bedingungslos zu folgen. Ja, Kerstin hat einen neuen Meister. Schwarz wie die Nacht, den gesamten Körper berührend und rund um die Uhr präsent, so hat er sich ihr vorgestellt. - Gummi - . Dieses dehnbare, luftdichte Material beginnt auf ihrer Haut zu leben, sie zu beeinflussen. Zwingt sie, sich seinem Willen anzupassen und sich mit ihm zu arrangieren. Wann wird der Tag kommen, an dem sie sich ohne diesen ständigen Begleiter unwohl und fremd fühlt? Wann der Tag, an dem sie sich ein Leben ohne dieses Zubehör nicht mehr vorstellen kann? Kerstin weiß keine Antwort auf diese Fragen, doch merkt sie mit jeder Woche die verstreicht, wie eine Unannehmlichkeit nach der anderen weicht, und immer mehr Eindrücke zur Gewohnheit werden.
Kerstin beobachtet Ines dabei, wie sie den Schlauch von ihrem Mundverschluß abnimmt. Kerstin stellt die Flasche in die Spüle, in der sich noch immer das Spülwasser befand. Mehr konnte sie nicht helfen, die Bewegungsfreiheit der Finger und Hände war zu gering um den Rest der Arbeit zu erledigen. Sie hatte lange gebraucht um mit den Verbindungsschläuchen an den Beuteln für ihre Mahlzeiten zurecht zu kommen, was ihr am Anfang desöfteren einen hungrigen Nachmittag beschert hat, nachdem sich der Nahrungsbrei nicht wie erwartet in ihrem Magen, sondern auf ihrem Dekolleté ausgebreitet hat, weil sie schon wieder einmal zu nachlässig versucht hat, die Anschlußstücke zu verbinden. Kerstin denkt oft an diese Zeit zurück, die nun schon fast drei Monate zurückliegt.